Vor einiger Zeit hatte ich über meine Erfahrungen mit Bewerbungsprozessen geschrieben und kritisiert, dass dieser in vielen Unternehmen nicht mehr zeitgemäß ist. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Es gab Zustimmung, aber auch den Ratschlag, als Jobsuchender lieber nicht solche kritischen Beiträge zu verfassen. Aber ganz ehrlich: für ein Unternehmen, das nicht einmal die grundlegendsten Eigenschaften eines zeitgemäßen Bewerbungsprozesses erfüllt, will ich gar nicht arbeiten.
Nach dem Bewerbungsanschreiben folgt (im positiven Fall) das Vorstellungsgespräch. Auch hier habe ich bereits einige Kuriositäten erlebt.
Hier sei noch einmal betont: Das Bewerbungsverfahren (inkl. Vorstellungsgespräch) ist ein beiderseitiger Prozess – für das Unternehmen und (natürlich genauso) für den Bewerber gilt es dabei zu prüfen, ob man zueinander passt. Auch das Unternehmen sollte dabei einen guten Eindruck hinterlassen, um Wunschkandidaten von sich zu überzeugen. Wenn es nicht passt, dann geht die Suche weiter – für beide Seiten. Scheinbar ist das aber einigen Recruitern noch immer nicht bewusst.
Stattdessen wird das Gespräch oftmals mit der Vorstellung geführt, der Kandidat sei auf das Unternehmen und die ausgeschriebene Stelle angewiesen. Dag mag vielleicht vereinzelt noch zutreffen. Aber für die breite Masse gilt es, im "war for talents" zu bestehen und gute Kandidaten für sich zu gewinnen.
Untenstehende Phrasen und Fragen sind Bestandteil fast jeden Gesprächs. Ich bin auf der Suche nach Alternativen, vielleicht haben Sie ein paar kreative und innovative Ideen. Schließlich sollte es ein gleichberechtigtes Gespräch sein, alle Beteiligten sollten sich wohlfühlen, denn es geht um eine zukunftsverändernde Entscheidung.
Schon zu Beginn des Bewerbungsgesprächs kommt die Aufforderung: "Erzählen Sie ein bisschen von sich." Wozu? Ich habe Ihnen meine Unterlagen mit ausführlichen Erläuterungen zu meiner Person und meinem Werdegang geschickt. Haben Sie sich die Unterlagen nicht angeschaut?
"Was sind Ihre Stärken bzw. Schwächen?" Oh bitte! Was bezwecken Sie mit dieser Frage? Glauben Sie ernsthaft, dass ich Ihnen im Vorstellungsgespräch von meinen Defiziten erzähle. Erzählen Sie mir doch von Ihren Schwächen!
"Warum möchten Sie diesen Job?" Nichts im Leben ist kostenlos und irgendwann möchte ich mir im Supermarkt statt der Billigprodukte auch mal die bekannten Marken aus der Werbung leisten können, ohne darüber nachzudenken. Oder: statt zur Ostsee will ich kommendes Jahr nach Teneriffa reisen. In die gleiche Kategorie reiht sich die Frage: "Warum sollten wir Sie einstellen?" Gegenfrage: Warum sollte ich ausgerechnet bei Ihnen anfangen?
"Haben Sie sich auch woanders beworben?" Wo denken Sie hin? Ich setze natürlich alles auf diese eine Bewerbung. Natürlich bewerbe ich mich auch bei anderen Unternehmen (sogar bei Wettbewerbern), um die Wahl zu haben. Schließlich entscheide ich mich für das Unternehmen, das mir die besten Bedingungen bietet und in dem ich mich selbst verwirklichen kann.
Zugegeben, diese Darstellungen sind teilweise überspitzt. Dennoch: wir haben beide ein Ziel – Sie suchen nach einem neuen Mitarbeiter und ich nach einem neuen Job. Also lassen Sie uns ein gleichberechtigtes Gespräch führen, um herauszufinden, ob wir zueinander passen. In meinem nächsten Gespräch bin ich dann einfach derjenige, der am Ende sagt: "Vielen Dank für das Gespräch. Ich habe mir nun einen umfassenden Eindruck verschaffen können und melde mich bei Ihnen bezüglich meiner Entscheidung."
-
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen